f r e e l a n c e r
Es war auf meiner Reise durch Afrika. Seit sechs Monaten lebte ich mit meinem Gefährten in einem Landcruiser, auf der Route von Kapstadt nach Nairobi. Nach Tagen auf Lamu, einer Insel im Indischen Ozean, und weiter in Mombasa, beschlossen wir mit Reisefreunden aus Irland das Massiv des Mount Kenya zu erwandern. Da dieses Paar bereits ein Rückflugticket hatte, drängte die Zeit und trotz Durchfall war ich einverstanden, gemeinsam diesen erloschenen Vulkan im zweit-höchsten Bergmassiv Afrikas in kürzester Zeit zu besteigen.
Wir entschieden uns für eine Tour zum dritthöchsten Gipfel „Point Lenana“, in Sichtweite zum etwa 480 km entfernten Kilimandjaro.
„Kinyaa“ in der Sprache der Einheimischen
bedeutet „leuchtender Berg“ oder „schwarz-weißer Berg“ und ragt 5199 m in den Himmel.
Das Fahrzeug wurde beim Eingang zum Nationalpark abgestellt. Nach einem anstrengenden Tagesmarsch kamen wir zu einer Blechhütte, in der wir übernachten konnten. Hier sollte mindestens ein Tag fürs Akklimatisieren erlaubt werden. Wir waren unter Zeitdruck. Der Mann aus Irland hatte bereits beschlossen, wieder abzusteigen. Zu dritt begannen wir gleich am nächsten Tag mit dem Aufstieg. Schon bald kam uns eine 3er-Gruppe entgegen, die ihre Tour aufgrund von Atemproblemen und Angst vor Höhenkrankheit abgebrochen hatte.
Wir gingen durch eine karger werdende Landschaft bergauf. Die dünnere Luft ließ mich langsamer werden und schon bald war ich das „Schlusslicht“. Nach Stunden veränderte sich das Wetter und es begann zu schneien. Zuerst leicht, dann immer stärker: ein Schneesturm.
Da es bereits Spätnachmittag war, konnte die Hütte nicht mehr so weit sein.
Dann wurden wir von einer kleinen Gruppe überholt. Diese war von einem Bergführer begleitet. Der Weg führte in Serpentinen steil bergauf und ich setzte einen Fuß vor den anderen. Der Gedanke, mich hinzusetzen wurde lauter. Die Vorstellung, mich einfach in den Schnee zu setzen und sitzen zu bleiben, gewann an Schönheit.
Jeder hatte mit sich selbst zu tun, jeder war erschöpft mit den eigenen Kräften.
Ich wurde noch langsamer und stellte mir vor, mich fallen zu lassen, den Rucksack wegzulegen – es fühlte sich erlösend an;
ich spürte wie es mich sanft umhüllt…. da war kein Widerstand mehr. Es war ein natürliches mich hingeben, ein aufhören mit dem Anstrengen,
mit dem Kämpfen….
ich fühlte Frieden.
Plötzlich, in diesem dichten Schneegestöber, tauchte der Bergführer neben mir auf. Er nahm meinen Rucksack und ich folgte ihm. Schritt für Schritt. Atemzug für Atemzug….
Es war tatsächlich nicht mehr weit zur Hütte, zur „Austrian Hut“; jedoch noch sehr steil zum Plateau hoch – so in meiner Erinnerung.
In der Hütte waren die Fenster mit Eisschicht belegt. Es war eisig kalt, drinnen wie draußen.
Alle waren froh, es geschafft zu haben, angekommen zu sein.
Am nächsten Morgen begrüßte mich ein helles Licht – weit und breit.
Auf dem Weg zur Toilette begegnete mir der Bergführer. In Mokkasin ähnlichen Schuhen stand er mir gegenüber. Ich bedankte mich noch einmal für seine Hilfe. Er hatte gespürt, dass ich am Ende meiner Kräfte war und er ging zurück, mir zu helfen, mir meinen Rucksack abzunehmen – in diesem Schneesturm, seinem inneren Licht folgend….
Ich sagte ihm, dass ich ihm gerne meine Bergschuhe geben möchte…. wir strahlten beide….
und plauderten weiter und ich fragte ihn, was er so mache – in Nairobi?
„I am a freelancer“ sagte er herzvoll grinsend
auf fast 5000 m Höhe,
wir lachten beide schallend….
und wie eine Welle rollt das Echo ins hier und jetzt:
I am a freelancer
aus etymologischer Sicht leitet sich „free“ von einem germanischen Wort ab, das „lieben“ bedeutet,
und „lance“ ist dem französischen Wort „lancer“ ähnlich,
das „starten“ oder „beginnen“ einer Aktivität bedeutet,
an der viele Menschen beteiligt sind
(www.knowadays.com)